Der fliegende Teppich

Heute habe ich gesucht und nachgelesen, was es mit der Vorstellung von fliegenden Teppichen auf sich hat, - und ich war erstaunt, denn ich ging davon aus, dass in den Erzählungen von 1001er Nacht unzählige fliegende Teppiche unterwegs seien. Aber dies stimmt nicht, -es gibt nur zwei Erzählungen mit fliegenden Teppichen dort: in der Geschichte des Prinzen Ahmed und der Fee Pari Banu wird ein Teppich erwähnt, der aber gar nicht lange fliegt, sondern die beiden in der Art eines Wünschhutes blitzschnell an einen gewünschten Ort zaubert. 

In der anderen „Geschichte der messingnen Stadt „ wird als Erzählung in der Erzählung vom fliegenden Teppich des König Salomo berichtet, von dem auch im Koran die Rede ist. Dieser Teppich ist wirklich märchenhaft: aus grüner Seide gewebt, prächtig mit Gold verziert und so groß, dass er alles, was er benötigte an erbauten Häusern, Palästen, Zelten, Proviant, Pferden, Kamelen, Fracht und Männern sowie anderen Dingen, darunter die Tiere und die Vögel, aufnehmen konnte. König Salomo hatte durch Gottes Gnade Macht über die Winde und zahlreiche Jinns halfen ihm. Der Teppich flog blitzschnell. Salomo saß in der Mitte auf einem goldenen Thron und die Vögel des Himmels flogen über seinem Kopf, um ihm Schatten zu spenden.

Die symbolische Bedeutung des Teppichs ist vielgestaltig und tiefgründig. Einerseits bedeckt er den Boden, bezeichnet einen irdischen Ort des Wohnens und war z.B. für herumziehende Nomadenvölker ein Stück mitnehmbares Zuhause. Dies zeigt auch der Ausdruck: Bleib auf dem Teppich! So gehört der Teppich symbolisch dem Element Erde an. Diese Erdenverwandschaft wird anschaulich in dem Grimmschen Märchen „Die drei Federn“ dargestellt. Wer dem König den schönsten Teppich bringt, der soll sein Nachfolger werden. Das ist klug gedacht, denn braucht nicht gerade ein König ein kunstvoll gewebtes, harmonisches Schicksalsgewebe unter den Füßen? Diesen schönsten Teppich bekommt dann der Dummling, der Jüngste, von einer Kröte, die tief in der Erde wohnt, geschenkt.

Da ein Teppich aber aus zahlreichen Fäden gewebt wird, symbolisiert er auch den urweiblichen Aspekt der Schicksalsfrauen, der Urmütter, die die Schicksalsfäden spinnen und zu einem Gewebe verarbeiten. Oft wurden in orientalische Teppiche magische Zeichen eingewebt, um das Schicksal derer, die auf ihm lebten in gute Bahnen zu lenken und vor negativen Einflüssen zu schützen.

 

Nach Europa wurden die ersten Orientteppiche durch die Kreuzfahrer gebracht. Erst im 19.JH., als die Handelswege besser wurden, verbreitete sich der Orientteppich mehr und mehr unseren Breiten. Kein Wunder, dass er als magisches , geheimnisvolles Wunderding aus geheimnisvollen, fernen Ländern angesehen wurde. Die Vorstellung eines fliegenden Teppichs manifestierte sich und ist heute Bestandteil vieler Disneyfilme, bei Asterix und Obelix usw.

Er kommt auch in verschiedenen Märchen aus Russland und dem Balkan vor.

Der fliegende Teppich symboliesiert  den Wunsch,in magische Bereiche vorzudringen,- Raum und Zeit zu überwinden, ohne die Sicherheit der irdischen Existenz, ohne den tragenden Grund zu verlieren. 

Mit vielen Motiven aus bunten Schicksalsfäden gewebt ist der Teppich ein ideales Bild für die menschliche Phantasie und Kreativität, die im fliegenden Teppich über sich hinausgeht und übersinnliche Impulse aufnehmen kann. Die Magie, die in der Tätigkeit des Webens liegt, wird ebenfalls in einem Grimmschen Märchen, "Spindel, Weberschiffchen und Nadel", sehr lebendig veranschaulicht:“ Alsbald sprang ihr das Schiffchen aus der Hand und sprang zur Türe hinaus. Vor der Türschwelle aber fing es an, einen Teppich zu weben, schöner als man je einen gesehen hat. Auf beiden Seiten blühten Rosen und Lilien, und in der Mitte auf goldenem Grund stiegen grüne Ranken herauf, darin sprangen Hasen und Kaninchen, Hirsche und Rehe streckten die Köpfe dazwischen, oben in den Zweigen saßen bunte Vögel; es fehlte nichts, als dass sie gesungen hätten. Das Schiffchen sprang hin und her, und es war, als wüchse alles von selber.“

Dieser Teppich dient im weiteren Verlauf des Märchens allerdings nicht als Flugobjekt , sondern als Grundlage für eine glückliche Verbindung des webenden Mädchens mit dem Königsohn.

Abschließend möchte ich noch auf ein Bild von Victor Waszenow aufmerksam machen, dem es 1880 gelungen ist, die Magie eines Fluges auf einem fliegenden Teppich visuell darzustellen..