Immer, wenn ich ein Märchen auswendig lerne, entstehen viele wundersame Gedankenbilder oder eben auch Seelenbilder in mir, und es drängt mich, diese aufzuschreiben, um sie mit anderen zu teilen. Aber das verschriftlichen ist außerordentlich schwer, denn „Volksmärchen sind Metaphern unseres Daseins [….] bildhafte Umschreibungen eines Sachverhalts, den man auf andere Weise nur mühsam und unvollständig, oder auch gar nicht begreifen oder mitteilen kann.“ (W.Siegmund in Märchen für die Seele,S.153, 2012, Hg. Diekerhoff, Nox, Kiel).

Hier einige Gedanken zu dem Märchen:

Die sieben Raben

Ein Vater hat sieben Söhne! Das Märchen fängt sehr männlich an. Die Mutter ist der Urgrund, aus dem das Leben entspringt. Sie ist immer dabei (die Eltern…), aber nur ganz zu Beginn persönlich benannt. Sie gibt Hoffnung zu einem weiteren Kinde, das endlich das ersehnte Mädchen wird. Ich glaube nicht, dass dies ein „Männermärchen ist, sondern ein Mensch Märchen, wobei Mann für einen Menschen stehen könnte, der einseitige Kräfte in sich hat, ungestüme, starke, lebendige Kräfte, denen aber etwas wesentliches fehlt. Dieses Wesentliche wird nun geboren, aber es ist sehr schwach, fast kann es sich nicht im Leben halten und droht, wieder zu entschwinden, in die Unendlichkeit, aus der es gekommen ist.
Da frage ich mich, was ist das in mir? Etwas, nach dem ich mich sehne, dass aber ganz schwach ist und der Hilfe des Himmels bedarf. Etwas, das durch alle ungestümen Kräfte meiner Seele, wie Ärger und Zorn und Ungeduld wieder verschwindet? Ich denke, jeder kennt dieses schwache, kleine Mädchen in sich, dass aber sehr grundlegend und wichtig für den Seelenfrieden ist, wenn es wachsen darf.
Aber zurück zum Märchen. Das Mädchen soll die Nottaufe erhalten und der Mensch gibt einer Seelenkraft die Aufgabe, Wasser zu schöpfen. Aber die jungen Seelenkräfte sind wild und wollen alle teilhaben und mitmachen. Sie nehmen sich nicht zurück und können sich noch nicht in einen Zusammenhang stellen und danach handeln, nämlich, für ihr Schwesterchen Taufwasser holen. Jeder will der Erste sein. Eigentlich auch ein völlig normales Kleinkindverhalten, überschwänglich in dem Wunsch, mit tun zu wollen, wichtig zu sein, Egozentrismus nennt es Piaget.
In diesem Sinne ist die Verwünschung des Vaters etwas fast alltägliches. Wie oft hört ein kleines Kind, dass sich seine Lebhaftigkeit bewahrt hat, nicht Worte wie: Pass auf, lass das sein, fass das nicht an, was hast du wieder getan usw. in Bezug auf Handlungen, die es allein aus seinem überschwänglichen Interesse an der Welt und dem einüben neuer, aufregender Handlungsmuster. Und was ist mit einem Kind, dass zu oft böse Worte hört? Muss es nicht denken, dass es schlechte Raben in sich trägt, die es gar nicht beherrschen kann und die in einen Glasberg eingeschlossen werden sollten?
Aber auch jeder erwachsene Mensch neigt ja dazu, all die negativen Regungen, die ihm nicht behagen, lieber wie Raben zu behandeln und Starrheit zu bannen, anstatt sie zu nutzen und in menschliche Kräfte umzuwandeln. In einem Buddhistischen Buch (ich weiß nicht mehr genau in welchem) habe ich einmal den Rat gelesen: Nutze deine Wut wie ein Motorrad!
Der Vater im Märchen ist menschlich, lässt sich von Angst und Wut hinreißen und verwünscht seine sieben Söhne. Interessanterweise repräsentiert die Zahl 7 ua. die sieben Todsünden.  Sie ist aber vor allem eine heilige Zahl. „Ihre Symbolik vereinigt die vollkommene männliche Drei des Himmels und die vollkommene weibliche vier der Erde. Mithin ist sie ein Ausdruck der harmonischen Vereinigung der Dualsysteme, des männlichen und weiblichen, des Himmels und der Erde, des Körpers und der Seele.“ (s. L. Reiter, Symbole in Märchen und Therapie, 2014, s.430)
Diese Thematik wird auch ganz klar im Märchen deutlich. Das Mädchen schwingt sich auf seiner Wanderung ein zwischen den dualen Kräften der Sonne und des Mondes und kommt zu den Sternen, von denen jeder auf seinem besonderen Stühlchen sitzt, d.h. alles hat seinen Platz, und auch das Mädchen hat ja sein eigenes Stühlchen mit.
Vielleicht hatte sich der Mensch auch am Anfang zu viel vorgenommen, sogleich mit allen Kräften mit einem Krug zum Brunnen zu stürmen und das Wasser des Lebens zu schöpfen. Das Gefäß geht verloren, stürzt in die Tiefe das Unbewussten.
Es bedarf einer langen Wanderung und muss gut geplant sein, bedarf viel Mut und Sorgfalt, um die sieben Raben zu erlösen und die Familie der Seelenkräfte zu vereinigen. All dies kann das Mädchen. Es nimmt genug Nahrung für den Körper mit und ein Ringlein, als Symbol für die Zusammengehörigkeit aller Teile. Und ein Stühlchen für die Müdigkeit. Sitzt es darauf wenn es schläft, genau an dem richtigen Platz zwischen den Sternen?

 

Soweit….